Tumoren der Harnblase und Harnwege

Die Harnwege werden von Übergangsepithel ausgekleidet, welches sich bis in die distale Urethra erstreckt. Daran schließt sich Plattenepithel an. Die häufigsten Tumoren in diesem Bereich sind Blasentumoren (≥ 90 %), seltener kommen Tumoren des Nierenbeckens, des Ureters und der Urethra vor. 
In den USA beträgt die Inzidenz der Blasenkarzinome etwas mehr als 50 000 Neuerkrankungen pro Jahr. Es besteht eine Abhängigkeit von ethnischen und geographischen Faktoren. Männer europäischer Herkunft sind häufiger befallen als Farbige, Frauen seltener als Männer. Die Blasen- und Harnwegstumoren sind Tumoren der höheren Lebensjahrzehnte und treten am häufigsten im siebten und achten Lebensjahrzehnt auf.
Die berufliche Exposition gegenüber Karzinogenen, insbesondere aromatischen Aminen wie bei Arbeitern in der Farbindustrie, aber auch anderen Industriezweigen und Berufen (Schornsteinfeger, chemische Reinigung etc.), ist mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung dieser Tumoren korreliert. Blasenkarzinome können daher grundsätzlich als Berufserkrankungen anerkannt werden. Zwischen Exposition gegenüber den Karzinogenen und der Entwicklung der Erkrankung besteht in der Regel eine lange Latenzzeit.
Ätiologisch weiter von Bedeutung ist der Tabakkonsum, insbesondere das Zigarettenrauchen. Man nimmt an, dass die Mehrzahl der heute bestehenden Blasenkarzinome durch Zigarettenrauchen und nicht mehr wie früher durch Karzinogenexposition am Arbeitsplatz hervorgerufen wird. Die Behandlung mit phenazetinhaltigen Medikamenten und Oxazaphosphorin-Zytostatika wie Cyclophosphamid geht ebenfalls mit einem erhöhten Risiko einher. Chronisch entzündliche oder infektiöse Veränderungen in der Blase wie Infektionen mit Schistosoma haematobium können das Risiko für Plattenepithelkarzinome der Blase erhöhen.
Histologisch sind über 90 % dieser Tumoren Urothelkarzinome, der Rest sind Plattenepithel-, Adeno- und kleinzellige Karzinome. Häufig wachsen die Blasenkarzinome als oberflächliche, nichtinvasive Tumoren mit multifokalem Befall. Bei Diagnosestellung hat der Tumor die Muskelschicht bei weniger als jedem dritten Patienten infiltriert; bei 5 % der Patienten hat er bereits metastasiert. Strukturelle oder numerische Aberrationen an mehreren Chromosomen finden sich bei der Mehrzahl der Tumoren. Molekulargenetisch spielen die Inaktivierung der Tumorsuppressorgene p53 und RB, Onkogenaktivierung auf Rezeptorebene oder in der Signaltransduktion (z.B. ras, HER2/neu) sowie Veränderungen von zellzyklusrelevanten Genen eine Rolle (Retinoblastomgen, RB).
Hämaturie (bei ≥ 80 % der Patienten) und Dysurie sind die häufigsten klinischen Beschwerden. Flankenschmerzen und Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens können durch Obstruktion der Harnwege erzeugt werden. Weitere klinische Beschwerden sind von der Metastasenlokalisation abhängig.
Zur Diagnosestellung und zum Staging dienen Harnanalyse mit Urinstatus, Urinsediment, Urinkultur, Urinzytologie und Nierenretentionswerten, ferner Sonographie des Abdomens, Computertomogramm des Abdomens und des Beckens, Ausscheidungsurogramm, Röntgen-Thorax in zwei Ebenen, Skelettszintigraphie sowie fakultativ Thorax-CT, MRT des Abdomens und des Beckens.
 
Die endoskopische Untersuchung wird in Narkose durchgeführt. Sie beinhaltet die endoskopische Beurteilung von Urethra und Blase, die histologische Probenentnahme, die bimanuelle Untersuchung und die anschließende Blasenspülung mit Sicherstellung zytologischen Materials. Schon aus diagnostischen Gründen kann eine endoskopische Abtragung aller sichtbaren Tumoren notwendig sein. Hiervon ist insbesondere die Stadieneinteilung mit der Eindringtiefe des Karzinoms abhängig. Eine selektive Katheterisierung der Ureteren wird zusätzlich durchgeführt.
 
Die Diagnose wird obligat durch die Histologie gesichert, wobei der Differenzierungsgrad der Zellen auch prognostische Bedeutung hat. Die Urinzytologie gilt eher als Screeningmethode im Rahmen der Vorsorge- oder Nachsorgeuntersuchung.
 

Differentialdiagnose

Ausschlussmaßnahmen

Zystitis (bei Makrohämaturie)

Endoskopie der Blase

Prostataerkrankungen (bei Mikrohämaturie)

Endoskopie der Blase

 
Chirurgie bei oberflächlichen, nichtinvasiven Tumoren besteht die Therapie in der kompletten endoskopischen Resektion, gefolgt von einer adjuvanten intravesikalen Behandlung mit Bacillus Calmette-Guérin (BCG) oder Zytostatika wie Doxorubicin, Mitomycin C und Thiotepa. Die häufigste Nebenwirkung dieser Behandlung ist eine Zystitis. Die regelmäßige Nachsorge umfasst auch die Endoskopie.
 
Durch systematische Schleimhautbiopsien oder „Mapping“-Verfahren bei der transurethralen Resektion diagnostizierte Residualtumoren und Tumorpersistenzen werden mit weitergehenden chirurgischen Maßnahmen wie Blasenteilresektion oder radikaler Zystektomie behandelt.
 
Tumoren, die die Muskulatur der Blasenwand infiltrieren oder überschreiten, erfordern meist die chirurgische radikale Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie; selten reicht eine partielle Zystektomie aus.
 
Die radikale Zystektomie umfasst
■ beim Mann die Entfernung der Blase, der Prostata, der Samenbläschen, der proximalen Anteile der Samenleiter und der proximalen Urethra sowie des Fettgewebes und des bekleidenden Peritoneums. Ein Versuch der Erhaltung der erektilen Funktionen durch nervenschonende Operationsverfahren ist wünschenswert, sollte jedoch nicht die Radikalität des Eingriffes beeinträchtigen.
■ bei der Frau die Resektion der Blase, der Urethra, des Uterus, der Eileiter, der Ovarien, der vorderen Scheidenwand sowie der angrenzenden Bindegewebsstrukturen und des bekleidenden Peritoneums.
 
Weitere Indikationsgebiete der Chirurgie sind auftretende Rezidive.
 
Strahlentherapie Blasen- und Harnwegstumoren sind grundsätzlich strahlensensibel. Die Radiotherapie kann mit kurativer Intention (50–70 Gy) bei Patienten verwendet werden, die eine radikale Zystektomie ablehnen oder bei denen Kontraindikationen gegen einen solchen Eingriff vorliegen (z.B. hohes Alter, Komorbidität). Die präoperative Strahlentherapie ist noch klinischen Studien vorbehalten. Es besteht keine
gesicherte Indikation zu einer postoperativen adjuvanten Strahlentherapie.
 
Palliativ kommt die Strahlentherapie zum Einsatz, um Symptome wie Schmerzen, Blutungen oder Komplikationen wie Blasentamponade und Tumorkompressionssyndrome zu verbessern.
 
Chemotherapie: Urothelkarzinome sind grundsätzlich chemosensibel. Durch verschiedene Substanzen können in einer Monotherapie bis hin zu 50 % der Patienten in eine Remission (Voll- und Teilremission) ihrer Erkrankung gebracht werden. Zu den wirksamsten Substanzen gehören Platinderivate, Methotrexat, Doxorubicin, Epidoxorubicin, 5-Fluoruracil, Vinblastin, Ifosfamid, Gemcitabin, Paclitaxel und Galliumnitrat.
 
Durch Kombinations-Chemotherapie-Protokolle sind in der Regel höhere Ansprechraten zu erreichen, insbesondere ist dabei der Anteil kompletter Remissionen höher. Prospektiv randomisierte Studien zeigen dieses ebenso wie eine Verlängerung der Überlebenszeit im Vergleich zu Monotherapien. Die gebräuchlichsten Kombinations-Chemotherapie-Protokolle sind das M-VAC, welches Methotrexat, Vinblastin, Doxorubicin und Cisplatin enthält, oder das CMV, bestehend aus Cisplatin, Methotrexat und Vinblastin. Das M-VAC-Protokoll hat sich gegenüber anderen Polychemotherapie-Protokollen, z.B. dem CISCA-Protokoll, als vorteilhaft erwiesen, Vergleiche mit dem CMV-Protokoll oder mit Protokollen einschließlich neuerer Substanzen wie Paclitaxel oder Gemcitabin liegen noch nicht vor. Patienten mit ausschließlicher Lymphknotenmetastasierung erreichen in einem höheren Prozentsatz eine Vollremission als Patienten mit distalen Organmetastasen. Ein Langzeitüberleben durch eine Chemotherapie wird im Stadium der Fernmetastasierung allerdings nur bei weniger als 15 %, im Stadium der lokal fortgeschrittenen Erkrankungen einschließlich einer Lymphknotenmetastasierung bei weniger als 20 % der Patienten erreicht.
 
Mit Hilfe präoperativer Chemotherapie (neoadjuvanter Ansatz) können ein Downstaging des Tumors erreicht und so die Operabilität und die Aussichten auf eine Vollremission verbessert werden; in einigen Fällen wird dadurch auch eine harnblasenerhaltende Operation möglich. Ein solches Verfahren eignet sich nur für Patienten mit solitären und kleineren Tumoren und ist bislang Studien vorbehalten. Eine adjuvante postoperative Chemotherapie nach Resektion des Tumors kann das krankheitsfreie Überleben verlängern, bei Patienten mit nodalem Befall wahrscheinlich auch das Gesamtüberleben. Der Stellenwert einer additiven Chemotherapie bei belassenen Tumorresten ist bisher nicht gesichert.
 
Bei progressiver Erkrankung und Metastasen kann eine palliative Chemotherapie sinnvoll sein. Patienten mit Rezidiven nach Chemotherapie sprechen schlecht auf Folgebehandlungen an.
Die Prognose nichtinvasiver oberflächlicher Tumoren ist abhängig von Infiltrationstiefe und Grading. Das Carcinoma in situ hat zwar bei frühzeitiger Therapie eine gute Prognose, neigt jedoch schnell zu progredientem Wachstum. Reicht der Tumor noch nicht weiter als bis zum perivesikalen Fettgewebe, beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate 90 %, infiltriert der Tumor bereits Prostata, Uterus, Vagina, Becken- oder Bauchwand sinkt die 5-Jahres-Überlebensrate dagegen auf unter 50 %. Von den Patienten mit Lymphknotenoder Fernmetastasen leben nach fünf Jahren nur noch weniger als 10 %.
Komplikationen durch den Tumor werden durch das Wachstum des Primärtumors z.B. in Form einer Blasentamponade, einer massiven Blutung oder durch die Lokalisation der Metastasen der Erkrankung verursacht.